Übersetzen: ein Seiltanz zwischen den Kulturen

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2013 erschien eine online heiß diskutierte Studie zur Automatisierung diverser Berufe. Man könnte erwarten, dass Übersetzer und Interpreten ziemlich hoch auf der Abschussliste stehen (siehe Anhang der englischsprachigen Studie), doch dem ist nicht so. Sie haben nur einen Wahrscheinlichkeitsfaktor von 0.38, von Computern ersetzt zu werden. Überrascht Sie dieses Resultat? Vermutlich nicht, da Sie sich auf der Webseite einer freiberuflichen Übersetzerin befinden. Ich möchte im Folgenden trotzdem anhand einiger Beispiele illustrieren, was der Beruf des Übersetzers mit sich bringt – und wieso wir so schnell nicht von Google Translate aus dem Job gejagt werden.

Die vielen Nuancen der Sprache

Zweifelsohne gibt es Situationen, wo eine maschinelle Übersetzung vollkommen ausreichend ist. Wenn Sie lediglich den ungefähren Gehalt eines Textes verstehen wollen und mit der Terminologie schon bekannt sind, dann kommen Sie meist auch mit einer schlechten Übersetzung zurecht. Als Beispiel ein Zitat von John Herbst, ehemaliger Botschafter der USA in der Ukraine, zu Viktor Yanukovich:

My sense is that he does not want to give up real power. He would like to retain all the authorities he currently enjoys until the presidential election of 2015.

Google Translate macht daraus folgendes:

Mein Gefühl ist, dass er nicht will, um wirkliche Macht aufgeben. Er möchte alle Behörden derzeit genießt, bis er die Präsidentschaftswahl 2015 zu behalten.

Der deutsche Satz ist zwar einerseits ziemlich unsinnig, aber sie können aus dem Kontext wahrscheinlich erraten, dass er die Behörden (bzw Befugnisse) behalten möchte und nicht die Präsidentschaftswahl. Doch sobald man sich nicht auf lustiges Rätselraten verlassen möchte, wird eine maschinelle Übersetzung problematisch. Und wer seiner Zielgruppe etwas verkaufen möchte, der möchte Zweideutigkeiten oder Fehler sicher vermeiden.

Doch ein Mensch kann noch viel mehr als nur sicherzustellen, dass „Fan“ korrekt als Anhänger oder als Ventilator übersetzt wird. Der Job eines Übersetzers besteht nicht nur daraus, ein Wort mit der entsprechenden Vokabel in einer anderen Sprache zu ersetzen. Jeder Text hat einen Stil, eine Absicht, eine Stimmung, die korrekt in die Zielsprache übertragen werden müssen. Zusätzlich verlässt sich jeder Text auf eine gemeinsame kulturelle Grundlage, die so nicht zwingenderweise in der Zielsprache (und -kultur) besteht. So muss der Übersetzer, um in verschiedenen Kulturen die gleiche Wirkung zu erzielen, oft leicht (manchmal auch stark) unterschiedliche Strategien einsetzen. Hier kann der Übersetzer, der in beiden Kulturen wirklich zuhause ist, einen eleganten und wirkungsvollen „Transfer“ herstellen.

Stil, Absicht, Zielgruppe

Hier ein (fiktives) Beispiel, um zu illustrieren, inwiefern die Zielgruppe den Stil eines Textes bestimmt und gegebenenfalls verändern kann. Nehmen wir eine amerikanische Firma, die in Deutschland Fuß fassen möchte. Hier ein Satz aus der hypothetischen Produktbroschüre: „With our boards you can expect top performance in tricky situations!“ Wie würde ich dies ins Deutsche übersetzen? Ohne Kontext fast unmöglich:

  1. Was sind Boards? Bretter oder Dielen? Eine elektrische Steckplatte? Ein Surfboard?
  2. Abhängig vom Brett verändert sich auch der Leser. Ein Elektriker mit 40 Jahren Berufserfahrung möchte anders angesprochen werden als ein junger Surfer, der von einer trendige US-Marke angezogen ist.
  3. Was zeichnet die Firma aus und wie möchte sie sich ihrer Zielgruppe gegenüber darstellen? Ist das Label „Made in USA“ ein Hauptanziehungspunkt oder etwas, das es herunterzuspielen gilt?

All dies sind Überlegungen, die ich vor Übersetzung des Satzes machen würde. Zuerst muss ich schon entscheiden, ob ich den Leser mit Sie oder du anspreche. Wenn das Unternehmen cool, jung und amerikanisch erscheinen möchte, ist das du möglicherweise besser. In dem Fall würde ich vielleicht auch „top performance“ im englischen Original belassen – es gibt dem Text einen Hauch Coolness. (Die Denglisch-Falle ist natürlich trotzdem zu vermeiden.) Dem Elektriker und seiner Platine würde ich wohl eher „Spitzenleistung“ benutzen (womit ich dem Elektriker keineswegs seine Englischkenntnisse absprechen möchte! Er versteht wahrscheinlich auch top performance. Aber er empfindet anders, wenn er es liest).

Gemeinsame kulturelle Basis

Ein weiterer Aspekt, der eine wichtige Rolle spielt, sind kulturelle Bezugspunkte. Ein Text versucht, mit dem Leser sozusagen eine Verhältnis aufzubauen – vor allem natürlich, wenn er den Leser emotional ansprechen und vom Kauf überzeugen soll. Doch diese gemeinsame kulturelle Basis ist dem Leser in der Zielsprache oft fremd, und eine simple wortwörtliche Übersetzung hat dann den entgegengesetzten Effekt. Dies bemerkt man oft im Verhältnis der Westeuropäer mit der US-amerikanischen Kultur. Dank unzähliger Sitcoms und Filme denkt der Europäer gern, die amerikanische Kultur sei ihm fast so vertraut wie die eigene. Aber auch staffelweise Beverly Hills, Eine schrecklich nette Familie oder Roseanne (womit ich auch mein ungefähres Alter verrate) ersetzen nicht die wirkliche Erfahrung, als Kind die Ferien im „Sommercamp“ zu verbringen, die Aufregung, ob man ein Date für den Abschlussball findet, und unzählige weitere kleine und große Dinge, die die amerikanische Lebenserfahrung prägen und den Europäern fehlen. Als Übersetzer trifft man hier die bewusste Entscheidung, ob man es mit einem entsprechenden Bezugspunkt aus der „Zielkultur“ ersetzt oder sie im Original lässt, aber kontextuell erklärt.

Als konkretes Beispiel sei noch ein Trainingsvideo erwähnt, das ich vor einer Weile für ein britisches Unternehmen übersetzte, welches einen Standort in Deutschland eröffnete. Die Firma ist im englischen Lake District ansässig, einem der großen Nationalparks hierzulande, beliebt bei Wanderern, Naturfans, Literaten (u.a. lebte und schrieb hier der Dichter Wordsworth) und überhaupt der ganzen Nation. Und so beschrieben viele der Angestellten in dem Video, wie wundervoll es doch sei, in dieser einmaligen Landschaft zu arbeiten. Sie konnten sich vollkommen sicher sein, dass jeder, der das Video sah, sofort die grünen Hügel und tiefblauen Seen vor seinem inneren Auge hätte, möglicherweise mit Kindheitserinnerungen an den Familienurlaub. Schon ist ein Bezug aufgebaut und man fühlt sich an seinem neuen Arbeitsplatz wohl. Zumindest in Großbritannien, denn bei den meisten Angestellten in Deutschland funktioniert es natürlich überhaupt nicht. Bei einem Trainingsvideo ist das verzeihlich – die Leute brauchen wahrscheinlich den Job – aber bei einem Verkaufsvideo kann sowas ausschlaggebend sein.

Ein abwechslungsreicher Job

All dies – und mehr – ist es, was das Übersetzen für mich so interessant macht. Es geht hierbei um soviel mehr als nur darum, die korrekten Wortübersetzungen zu kennen. Es ist einfach unglaublich befriedigend, einen Text richtig gut übersetzt zu haben. In Fällen, wo etwas missverständlich sein könnte, biete ich oft mehrere Übersetzungen und erkläre dem Kunden die unterschiedlichen Effekte, so dass er die richtige Wahl treffen kann. Ich bin persönlich der Meinung, dass ein guter Übersetzer längere Zeit in beiden Sprachräumen und Kulturen gelebt haben muss, um die Nuancen und Komplexitäten der Sprache wirklich zu verstehen und enstprechend „transferieren“ zu können.

Man hört manchmal Mehrsprachler klagen, dass sie sich nirgendwo richtig zu Hause fühlen, dass sie keine Kultur haben, die wirklich ihre eigene ist. Die Erfahrung ist mir sicherlich nicht fremd, aber dem gegenüber steht die wundervolle Fähigkeit, mehrere Kulturen „von innen“ zu kennen und zu verstehen – und damit einher geht auch eine erweiterte, offenere Weltsicht.